Gegen das Versinken der Reiskammer Vietnams
- TU News
Im Mekongdelta in Vietnam werden Nahrungsmittel für rund 200 Millionen Menschen angebaut. Doch der Klimawandel bedroht die Region: Der steigende Meeresspiegel und Extremwetterereignisse wie Dürren oder Taifune führen zu Trinkwasserknappheit und Ernteausfällen. Prof. Nguyen Xuan Thinh erforscht, wie Land und Wasser nachhaltiger genutzt werden können.
Den Süden Vietnams durchzieht ein Labyrinth aus Flüssen, Sümpfen und Kanälen: das Mekongdelta. Bevor der Mekong in das Südchinesische Meer mündet, verzweigt er sich hier in zahlreiche, zum Teil miteinander verbundene Flussarme. Das fruchtbare Gebiet ist Lebensraum für 17,3 Millionen Menschen – und ernährt rund 200 Millionen Menschen in ganz Südostasien. Weil vor allem Reis angebaut wird, wird das Mekongdelta auch die „Reisschüssel Vietnams“ genannt.Doch das Mekongdelta ist vom Klimawandel so stark betroffen wie nur wenige andere Gebiete. Die 720 Kilometer lange Küste macht die Region verwundbar, schützende Mangrovenwälder wurden an vielen Stellen abgeholzt.
Die Folgen: Naturkatastrophen wie Taifune, Überschwemmungen und anhaltende Dürreperioden. Die größte Stadt des Mekongdeltas, Can Tho, und neun der zwölf Provinzen liegen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Steigt dieser an, lässt sich das Mekongdelta kaum mit Dämmen und Wehren absichern. Neben dem Klimawandel ist auch die industrielle Nutzung des Mekongs ein Problem: Wasserkraftwerke in Ländern wie China oder Laos verhindern, dass kleine Stein- und Sandpartikel mit dem Fluss nach Vietnam gelangen und sich dort ablagern können. Ohne diese Sedimentablagerungen werden immer mehr Küstenabschnitte und Flussufer weggespült, an vielen Stellen bis zu 50 Metern weit.
„Meeresspiegelanstieg, Landabsenkung und lange Trockenperioden führen dazu, dass große Mengen Salzwasser in das Mekongdelta eindringen“, sagt Prof. Nguyen Xuan Thinh von der Fakultät Raumplanung der Technischen Universität Dortmund. Im Jahr 2016 zum Beispiel hat das Salzwasser die Hälfte der 2,2 Millionen Hektar Anbaufläche erreicht, die Ernten zerstört und die Trinkwasserquellen kontaminiert. „Es ist dringend notwendig, Lösungen für das Mekongdelta zu entwickeln. Sonst ist die Existenz des ganzen Gebiets und der Lebensraum für Millionen von Menschen gefährdet“, so Thinh.
Das BMBF fördert das Forschungsprojekt
Thinh untersucht im Projekt ViWaT-Planning, welche Folgen der Klimawandel für das Mekongdelta hat und wie geeignete Strategien für eine möglichst nachhaltige Wasser- und Landnutzung aussehen können. Dafür arbeiten die Wissenschaftler*innen der TU Dortmund mit anderen deutschen Forschungsinstitutionen sowie mit Partner*innen aus der Industrie und aus Vietnam zusammen. ViWaT-Planning wird von der Ruhr-Universität Bochum koordiniert und ist ein unabhängiges Teilprojekt im Verbundprojekt ViWaT-Mekong. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert ViWaT-Mekong im Programm „Client II – Internationale Partnerschaften für nachhaltige Innovationen“ noch bis Ende 2021. Rund zwei Millionen Euro gehen dabei an ViWaT-Planning, weitere Teilprojekte sind ViWaT-Engineering und ViWaT-Operation.
Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe vom Fachgebiet Raumbezogene Informationsverarbeitung und Modellbildung ist Thinh dafür zuständig, herauszufinden, wie die Menschen das Land im Mekongdelta bewirtschaften und wie alternative Szenarien aussehen können. „Wir kartieren die wasserrelevante Landnutzung des Mekongdeltas und speichern alle Informationen in einer Geodatenbank. Diese Daten bilden später die Grundlage für einen regionalen Landnutzungsplan“, sagt Thinh.
Dazu analysieren die Wissenschaftler*innen vor allem Landsat- und Sentinel-Satellitenbilder. Landsat-Erdbeobachtungssatelliten werden von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA betrieben, Sentinel-Satelliten von der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Neben optischen Daten liefern sie auch Radardaten – dafür tastet der Satellit die Erdoberfläche mit elektromagnetischen Wellen ab und erzeugt eine dreidimensionale Darstellung des Geländes.
Schon in der Vorbereitung des Projekts konnten Thinh und sein Team so zum Beispiel zeigen, wie viel Land tatsächlich weggespült wird: Das Mekongdelta verliert pro Jahr etwa 450 Hektar – also 4,5 Quadratkilometer – Land durch Erosion. „Bisher mussten die vietnamesischen Behörden solche Messungen manuell durchführen. Unsere Methode ist nicht nur genauer, sondern auch deutlich schneller“, sagt Thinh.
Satellitenbilder liefern ein genaues Bild der Landnutzung
Mithilfe der Satellitenbilder können die Forscher*innen herausfinden, welche Nahrungsmittel wo und zu welcher Jahreszeit produziert werden. Neben dem Reisanbau trägt das Mekongdelta vor allem zur Aquakultur für Fisch oder Garnelen und zur Obst- und Gemüseproduktion bei. Zwar haben bislang die einzelnen Provinzen diese Informationen bereits zur Verfügung gestellt, die Daten beziehen sich allerdings auf unterschiedliche Zeiträume und lassen sich nicht gut vergleichen. Weil Thinh und sein Team mit Satellitenbildern arbeiten, sind sie in der Lage, aktuelle und vergleichbare Informationen zu liefern.
Die Analyse funktioniert computergestützt und wird durch Feldforschung vor Ort ergänzt: etwa durch mit GPS-Koordinaten versehene Fotos oder Drohnenaufnahmen. Diese Daten dienen als Abgleich für die Ergebnisse, die auf der Analyse der Satellitenbilder basieren. Und sie werden als Trainingspixel in das Analyseprogramm eingespeist, das so lernt, wie es die Daten der Satellitenbilder interpretieren muss.
„Wir setzen die Kartierung ein, um mögliche Szenarien für die Landnutzung aufzuzeigen“, sagt Thinh. „Soll zum Beispiel an einem Standort Reis angebaut werden, können die Entscheidungsträger*innen vor Ort auf unsere Forschung zurückgreifen. Die Geodaten zeigen dann etwa, wie groß die Gefahr ist, dass Meerwasser in diesen Standort eindringt – und wie der Standort nachhaltiger genutzt werden könnte.“
Ein großes Problem im Mekongdelta ist die fehlende Regionalplanung. Es gibt viele einzelne Pläne in den jeweiligen Provinzen, ohne sie in eine Gesamtplanung zu integrieren. „Beschließt eine Provinz beispielsweise, an einer Stelle Garnelen statt Reis anzubauen, muss sie dafür Salzwasser einfließen lassen. Das beeinflusst aber den Reisanbau der Nachbarprovinz. Es ist also nicht sinnvoll, dass jede Provinz ihre eigene Planung macht“, sagt Thinh. Das Ziel von ViWaT-Planning ist, Methoden für eine provinzübergreifende strategische Planung zu entwickeln. Die Forscher*innen der anderen beteiligten Hochschulen schauen sich dazu weitere wichtige Faktoren an, die neben der Landnutzung eine Rolle spielen: zum Beispiel die Trinkwasserversorgung, den Umgang mit Abwässern oder die Qualität des Grund- und Oberflächenwassers.
Ein Regionalplan hilft bei klimabedingten Problemen
Der Regionalplan soll den vietnamesischen Entscheidungsträger*innen dabei helfen, besser auf klimabedingte Probleme reagieren zu können. Bisher wird noch versucht, das Meerwasser durch ein System von Deichen und Wehren aufzuhalten, in Dürreperioden beliefern Tank-LKWs das Mekongdelta mit Trinkwasser. Gleichzeitig wird zum Teil nicht optimal mit den Wasserressourcen umgegangen: Gewässer sind überfischt, es wird zu viel Grundwasser entnommen oder das Wasser an der Oberfläche verschmutzt. „Eine bessere Strategie wäre, das Meerwasser als Ressource zu nutzen, zum Beispiel in der Aquakultur, oder auf wassersparende Landwirtschaft und widerstandsfähige Obstsorten umzustellen“, sagt Thinh. „Die Land- und Wassernutzung zu optimieren und an das veränderte Klima anzupassen, ist ein sehr wichtiger Schritt.“ Weitere Lösungsstrategien sind der Aufbau eines ökologischen Tourismus oder einer umweltverträglichen Industrie, vor allem für die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte.
Für ViWaT-Planning arbeiten die Wissenschaftler*innen eng mit den Behörden vor Ort zusammen. Schon die Vorbereitung des Projekts haben sie aufwändig abgestimmt, etwa während eines Workshops in Vietnam. Damit sollte sichergestellt werden, dass das Projekt möglichst gewinnbringend für alle Beteiligten ist. „Mir ist sehr wichtig, Strategien nicht nur für die lokalen Entscheider*innen zu entwickeln, sondern mit ihnen“, sagt Thinh. „Die Kooperationen vor Ort, aber auch die Kooperationen mit unseren deutschen Partnern aus der Industrie und aus anderen Forschungsbereichen machen das Projekt so spannend.“
Die Ergebnisse können prinzipiell für die Beobachtung anderer Flussdeltas genutzt werden, etwa für den Ganges in Indien und Bangladesch, den Nil in Ägypten oder den Amazonas in Brasilien. Thinhs Forschung zeigt zudem, dass es möglich ist, in kurzer Zeit moderne Geodatenbanken für Entwicklungsländer aufzubauen.
Bei seiner Arbeit treibt Thinh aber vor allem das Mekongdelta selbst an – und die Möglichkeit, etwas zu seiner Erhaltung beizutragen. „Ich habe schon als Kind Bücher über den Mekong gelesen und war fasziniert von der Region und seiner Vielfalt. Dieses fruchtbare Schwemmland hat sich heute deutlich verändert: durch den Bau von Kraftwerken, die Industrialisierung und vor allem den Klimawandel. Wenn wir nichts ändern, wird das Mekongdelta einfach vom Meer verschluckt.“
Text: Hanna Metzen
Zur Person
Prof. Nguyen Xuan Thinh ist seit 2011 Professor für raumbezogene Informationsverarbeitung und Modellbildung an der Fakultät Raumplanung. Er studierte Mathematik an der Technischen Universität Dresden und promovierte dort zu Computer-Analytik und Computeralgebra. 2005 habilitierte er an der Universität Rostock und war im Anschluss Privatdozent für Geodäsie und Geoinformatik. Seit 2012 ist er Gastprofessor an der China University of Mining and Technology. An der TU Dortmund untersucht er, wie raumbezogene Daten analysiert und räumliche Systeme modelliert werden können: Seine Forschungsschwerpunkte liegen zum Beispiel in der Geoinformatik, in der Fernerkundung oder in der Modellierung auf Basis geografischer Informationssysteme.