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Von Greenwashing und Rosinenpicken

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Zwei Hochhäuser aus Glas stehen nebeneinander mit blauem Himmel und grünen Bäumen. © Melinda Nagy​/​stock.adobe.com
Prof. Christiane Pott und Prof. Peter Posch untersuchen in verschiedenen Projekten, ob und wie es gelingen kann, einen solchen einheitlichen Vergleichsmaßstab zu schaffen – und damit Greenwashing einen Riegel vorzuschieben.
Prof. Christiane Pott und Prof. Peter Posch hinterfragen in einem interdisziplinären Forschungsprojekt, welche Wirksamkeit die nachhaltige Finanzstrategie des „European Green Deal“ entfaltet.

EU-Präsidentin Ursula von der Leyen verbreitete Zuversicht, als sie am 11. Dezember 2019 in Brüssel den neuen Fahrplan vorstellte, mit dem Europa seine Netto-Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 auf null reduzieren und damit der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden will: „Der Europäische Grüne Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie – für ein Wachstum, das uns mehr bringt, als es uns kostet. Wir werden unserer Wirtschaft dabei helfen, zum globalen Vorreiter zu werden, indem sie vor allen anderen handelt und indem sie schnell handelt. Wir sind fest entschlossen, dabei erfolgreich zu sein im Interesse unseres Planeten und des Lebens darauf – für Europas Naturerbe, für Biodiversität, für unsere Wälder und unsere Meere.“

Die Verwirklichung dieses ehrgeizigen Vorhabens braucht neben dem politischen Willen vor allem eins: Kapital. Allein um die derzeitigen Klima- und Energieziele bis 2030 zu erreichen, müssen europaweit Investitionen in Höhe von mindestens einer Billion Euro mobilisiert werden, schätzt der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung in seinem jüngsten Bericht. Die öffentlichen Haushalte können diese gewaltige Kraftanstrengung nicht allein leisten. Damit der Green Deal gelingen kann, muss in erheblichem Umfang privates Kapital fließen. Um grüne Investitionen anzukurbeln, hat die Kommission im Juni 2020 ein Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten aufgelegt: Mit Hilfe der neuen EU-Taxonomie sollen Anleger*innen, wenn sie in Projekte mit erheblichen positiven Effekten auf Klima und Umwelt investieren, überall von der gleichen Informationsgrundlage ausgehen können – „ein Meilenstein unserer grünen Agenda“, ließ Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrowski anlässlich der Verabschiedung der Verordnung verlauten.

Kapitalströme in nachhaltige Investitionen umlenken

Doch hat der neue Rechtsakt wirklich das Zeug, Kapitalströme in nachhaltige Investitionen umzulenken? Das ist die zentrale Frage, die sich Prof. Peter Posch, Fachmann für Finanzwirtschaft, und Prof. Christiane Pott, Expertin für Internationales Rechnungswesen an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der TU Dortmund, im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts stellen. Gemeinsam mit gut einem Dutzend weiterer Forscher*innen aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsrecht, Zivilrecht und Psychologie von Universitäten in Marburg, Madrid, Gießen und Köln haben sie sich vorgenommen, das neue Unionsrecht und seine Auswirkungen auf den Kapitalmarkt in den kommenden Jahren zu untersuchen. „Rechtliche Steuerung nachhaltigen Unternehmertums“ heißt der übergeordnete Arbeitstitel mehrerer Teilprojekte, von denen drei in Dortmund angesiedelt sind.

Die blaue EU-Flagge ist mit Sternen auf weißem Hintergrund. © rawku5​/​stock.adobe.com
Die EU will Kapitalströme in nachhaltige Investitionen umlenken, um ihre Klimaziele zu erreichen.

„Wir sind in Deutschland vermutlich die einzige interdisziplinäre Gruppe, die an diesem Thema dran ist, und wir stehen noch ganz am Anfang“, erklärt Prof. Christiane Pott, die die Professur „Internationale Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung“ an der TU Dortmund innehat. Ihr Spezialgebiet ist das Berichtswesen und sie untersucht, wie sich Informationen zur Nachhaltigkeit in Unternehmensberichten auf Anleger*innen auswirken. Das Thema ist nicht gänzlich neu. 

Die großen Akteure auf dem Kapitalmarkt müssen schon seit einigen Jahren im Zuge der sogenannten CSR-Berichterstattung „nicht-finanzielle Erklärungen“ abgeben und darin Angaben zu ökologischen und sozialen Aspekten ihrer Wirtschaftstätigkeit machen. Die Kriterien der Environmental Social Governance, kurz ESG, sollen Geldgeber*innen die Bewertung erleichtern, welche ökologischen, sozialen und ethischen Konsequenzen ihr Investment potenziell hat. Ratingagenturen und Unternehmensberatungen haben dieses Segment längst als lukratives Geschäftsmodell für sich entdeckt.

Nachhaltigkeit ist en vogue. Doch mit den Nachhaltigkeitsberichten hat auch ein Phänomen an Bedeutung gewonnen, das allgemein als „Greenwashing“ bezeichnet wird – jene schönfärberische Selbstdarstellung, die mehr vertuscht als offenlegt und vor allem Werbezwecken dient. Wer es versteht, seine grüne Seite gut zu vermarkten, ist klar im Vorteil bei der Beschaffung von Mitteln und dem Anwerben von Kund*innen. Weil der Begriff Nachhaltigkeit sehr diffus ist, können Unternehmen oder Anbieter von Finanzprodukten Interpretations-Spielräume nutzen. An einem Beispiel verdeutlicht der Finanzmarkt-Experte Peter Posch, welche Konsequenzen dies hat: „Das amerikanische Index-Unternehmen MSCI hat einen Aktienkorb zu ‚Sustainable Investment‘ aufgelegt. Zwei der größten Positionen darin sind die Mineralölunternehmen Total und Shell. Die würde man zunächst nicht als nachhaltig empfinden. Aber sie erfüllen bestimmte ESG-Kriterien in ihren Berichten. Deshalb setzt man einen Haken dahinter, und diese Unternehmen landen im Index.“

Greenwashing einen Riegel vorschieben

Genau diesem Greenwashing will die EU durch ihr neues Regelwerk einen Riegel vorschieben. Im Kern besteht die Taxonomie aus einer Klassifikation umweltnützlicher Wirtschaftstätigkeiten. 69 Einträge hat die „weltweit erste grüne Liste“, wie die Union sie stolz bezeichnet. Das Spektrum der dort beschriebenen Aktivitäten betrifft sieben besonders klimarelevante Branchen wie die Energie-, Transport- und Immobilienwirtschaft und reicht von der Produktion von Strom aus Erdwärme und der Lagerung von Wasserstoff über die Produktion von Düngemitteln bis zum Hausbau oder der Kompostierung von Bioabfall. Prof. Posch hat den Katalog gemeinsam mit dem Juristen Prof. Jens Ekkenga von der Universität Gießen genauer unter die Lupe genommen. Ihre gemeinsame Bewertung fällt nicht gerade positiv aus. „Das größte Störpotenzial wurzelt in der Beliebigkeit, die der Worthülse Wirtschaftstätigkeit anhaftet“, urteilen die Fachleute. Durch künstliches Aufblähen oder enge Auslegung öffnen sich weite Spielräume.

Nach der vorliegenden Liste könnte ein Unternehmen einen Geschäftsbereich leicht auf den umweltfreundlichen Leistungskern reduzieren, um ihn im Bericht als besonders vorbildlich herauszustellen. Ein Beispiel für solcherart „Rosinenpickerei“: Ein Hersteller klassifiziert die Produktion von E-Autos, die nur fünf Prozent der Produktion ausmacht, als eigene „Wirtschaftstätigkeit“ und damit als besonders umweltnützlich im Sinne der EU-Taxonomie. Würde man die Gesamtproduktion inklusive PKW mit Verbrennungsmotoren berücksichtigen, bliebe der Firma das Prädikat „ökologisch nachhaltig“ für die Autoproduktion hingegen versagt. Solche Unklarheiten sind nach dem Urteil der Fachleute ein Einfallstor für unerwünschte Greenwashing-Praktiken. Noch ist die Verordnung nichts als ein normativer Rahmen. Jetzt beginnt die eigentliche Auslegungsarbeit, und dabei stellen sich viele Fragen. Prof. Posch zieht dazu ein fiktives Beispiel heran:

Ein grünes aus Rasen Euro-Zeichen auf weißem Hintergrund. © pogonici​/​stock.adobe.com
Mit der neuen Taxonomie sollen daher nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten von Unternehmen klassifiziert und für Anleger*innen vergleichbar werden.

„Ein Konzern gibt einen Green Bond heraus für ein Projekt zur Renaturierung der Elbe. Diesen grünen Pfandbrief kauft ein Investor, und das Geld fließt in den großen Mischkonzern. Darf dieser die Mittel jetzt nur für das Elbe-Projekt nutzen oder zum Beispiel auch für den Bau eines Atomkraftwerks? Kann das Unternehmen die Erlöse aus dem Green Bond auch zur Ablösung eines alten Projekts verwenden, das neues Geld benötigt? All diese Fragen sind bis jetzt unbeantwortet.“

500 private und institutionelle Anleger*innen befragt

Offen ist zum jetzigen Zeitpunkt auch, wie Investor*innen auf das neue Regelwerk reagieren. In diese Lücke stößt das derzeit laufende Projekt „Berücksichtigung von Umweltinformationen in der Anlageentscheidung“ von Prof. Christiane Pott und ihrer Doktorandin Sandra Chrzan. Weil Kapitalmarktdaten noch nicht vorliegen, haben die beiden Wissenschaftlerinnen eine experimentelle Studie mit Umfragen bei gut 500 privaten und professionellen Anleger*innen durchgeführt. Innerhalb der Studie wurden fiktive Unternehmensberichte in drei Versionen erstellt, die sich durch die Bereitstellung zusätzlicher Umweltinformationen unterschieden. Auf dieser Grundlage wurde die Investitionsbeurteilung sowohl privater als auch professioneller Investor*innen abgefragt. Prof. Pott beschreibt das Setting der Studie: „Eine Gruppe erhielt beispielsweise nur finanzielle Informationen, die anderen zusätzlich unterschiedliche Versionen von Informationen zur Umweltperformance. Dann wurde die Investitionsentscheidung der Teilnehmer*innen abgefragt. Durch die Veränderung der Umweltperformance in den unterschiedlichen Versionen konnten wir Rückschlüsse auf die Wirkung solcher Informationen ziehen.“

In der Studie konnten die Wissenschaftlerinnen feststellen, dass zusätzliche Umweltinformationen einen Einfluss auf die Investitionsentscheidung bei einem langfristigen Anlagehorizont haben und sich zwischen den Investorengruppen unterscheiden. Die Ergebnisse lassen erkennen, dass Privatanleger*innen zusätzliche Umweltinformationen mit mehr Vertrauen belohnen, unabhängig vom Informationsgehalt. Im Gegensatz dazu bewerten professionelle Anleger*innen die langfristige Investition auf der Grundlage des Inhalts, um Risiken und Erträge der Investition zu beurteilen.

Das EU-Ziel, einen einheitlichen Vergleichsmaßstab zu schaffen, halten Prof. Christiane Pott und Prof. Peter Posch grundsätzlich für sinnvoll. „Bei den jetzigen Ratings kann es passieren, dass ein und dasselbe Unternehmen je nach Agentur unterschiedlich bewertet wird, weil es einfach keinen homogenen Ansatz gibt“, so Prof. Pott. Die Frage aber, ob das neue Regelwerk der EU das passende Instrument sein wird, um die notwendigen Investitionen in Billionenhöhe für ein klimaneutrales Europa zu mobilisieren oder sich am Ende zu einem „regulatorischen Albtraum“ entwickelt, wie Kritiker*innen befürchten, ist für beide offen. Prof. Peter Posch formuliert das so: „Wir wissen noch nicht, ob die Taxonomieverordnung besser ist als das, was der Markt bis jetzt vorschlägt. Aber wir haben damit zumindest einen Anhaltspunkt, Unternehmen zum Erfüllen bestimmter Anforderungen zu zwingen, die dem gesellschaftlichen Ziel des Klimaschutzes dienen. Und das kann der Markt nicht regeln.“ Die Entwicklung wollen die Dortmunder Wissenschaftler*innen im Rahmen weiterer Forschungsprojekte in den kommenden Jahren in jedem Fall begleiten.

Text: Christiane Spänhoff

Zu den Personen

Ein Porträtbild von Frau Prof. Christiane Pott. © Aliona Kardash​/​TU Dortmund

Prof. Christiane Pott ist seit 2013 Professorin für Internationale Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der TU Dortmund. Ihre akademische Laufbahn begann sie mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Münster, wo sie promovierte und sich 2012 habilitierte. Forschungsaufenthalte führten sie an die University of Southern California nach Los Angeles und an die London School of Economics. In Dortmund beschäftigt sich Prof. Pott schwerpunktmäßig mit der Unternehmens- und Abschlussprüferberichterstattung. Dabei untersucht sie unter anderem, wie sich die Berichterstattung zur Corporate Social Responsibility (CSR) auf den Kapitalmarkt und die Unternehmensreputation auswirkt.

Ein Porträtbild von Herr Prof. Peter Posch. © Felix Schmale​/​TU Dortmund

Prof. Peter N. Posch ist seit 2014 Professor für Finance an der TU Dortmund. Zuvor war er als Co-Leiter der Treasury Abteilung einer großen Investmentbank tätig. Nach dem Studium der quantitativen Volkswirtschaftslehre, Philosophie und Jura an der Universität Bonn hat Peter Posch über die ökonometrische Analyse der Dynamik von Risiken an der Universität Ulm promoviert. Forschungsprojekte führten ihn unter anderem nach Rotterdam, London und Singapur. Sein Forschungsschwerpunkt an der Technischen Universität Dortmund liegt auf dem Gebiet des Risiko- und Ressourcenmanagements. Zum Thema Risikomanagement hat Prof. Peter Posch einen Lehrbuch-Bestseller verfasst.

Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund. 

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