„Ein kooperativer Ansatz bot sich hier einfach an“
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Herr Prof. Zmyj, woran forschen Sie gerade?
Ich untersuche, wie sich Fähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen entwickeln, die uns typisch menschlich erscheinen: Wie unterscheiden sie zwischen sozialen Gruppen? Wie verlässlich oder auch manipulierbar ist ihre Erinnerung an vergangene Erlebnisse? Ab wann und wie entwickeln sich politische Einstellungen? Und welche Maßstäbe liegen ihrer Wahrnehmung zugrunde? Wenn ich beispielsweise sage, dass ein Fahrradfahrer gerade „schnell“ fährt, dann geht das nur, weil ich Erfahrungswerte darüber habe, wie schnell Fahrräder üblicherweise sind – in der Psychologie nennt man das Bezugssysteme. Oft sind sie unbewusst, man kann Bezugssysteme aber grundsätzlich reflektieren und sie hinterfragen. Mich interessiert vor allem, unter welchen Bedingungen sich solche Reflexionsfähigkeiten in der Kindheit entwickeln, und ob diese Mechanismen anlagebedingt oder durch Lernen erworben sind. Die Entwicklungspsychologie kann so fundierte Antworten auf viele gesellschaftliche Fragen liefern.
Wie kam es zu dem Kooperationsprojekt mit der RUB, für das Sie Gelder der MERCUR-Stiftung eingeworben haben?
Prof. Sabine Seehagen und mich verbindet eine langjährige gemeinsame Forschungserfahrung und ein Interesse an möglichen Wegen aus der sogenannten Replikationskrise: Viele entwicklungspsychologische Studien stehen vor der Herausforderung, dass sich vermeintlich sichere Ergebnisse in anderen Laboren nicht replizieren lassen. Gerade bei Studien mit Säuglingen oder Kleinkindern können schon winzige Details das Ergebnis beeinflussen. In unserem aktuellen Projekt erforschen wir unter anderem, wie Stress bei Säuglingen das Verständnis von Handlungen ihrer Mitmenschen beeinflusst. Dabei verfolgen wir den Ansatz, identische Experimente an zwei Standorten parallel durchzuführen und alle Daten des Forschungsablaufs im Sinne eines gläsernen Labors zu protokollieren und öffentlich zugänglich zu machen. Das ist zwar aufwendiger, wir hoffen aber, dass unsere Ergebnisse dadurch belastbarer werden. Natürlich ist die räumliche Nähe zwischen Dortmund und Bochum hierbei ein Vorteil, um sich vor Ort einen Eindruck von den Bedingungen im Labor zu verschaffen. Für die Umsetzung dieses Projektes bot sich die Förderung durch MERCUR Kooperation einfach an.
Was sollte man bei kooperativen Anträgen beachten?
Ich bin sehr an anderen Forschungsbereichen interessiert und finde den Gedanken interdisziplinärer Zusammenarbeit reizvoll. Gleichzeitig habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass es bei konkreten Projekten nicht immer einfach ist, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln – dafür bedarf es schon guter inhaltlicher Gründe. Das gilt selbst innerhalb der Psychologie: Ideen haben Sabine Seehagen und ich viele. Aber für den konkreten Fall mussten wir uns zu vielen Fragen abstimmen: Welche Vorarbeiten haben wir? Wie soll der Versuchsablauf genau aussehen? Wo können Schwierigkeiten bei der Umsetzung bestehen? Vermeintliche Kleinigkeiten können in der Begutachtung schnell das Aus bedeuten – zu Recht, denn Forschungsprojekte binden eine Menge Ressourcen und wollen daher gut durchdacht sein. Man sollte beim Schreibprozess selbst sein größter Kritiker sein – ansonsten werden es die Gutachterinnen und Gutachter sein.
Zur Person:
- 2000-2005 Psychologiestudium, Ludwig-Maximilians-Universität München
- 2009 Promotion, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
- 2009-2010 Postdoc, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
- 2010-2015 Juniorprofessur für Angewandte Sozial- und Entwicklungspsychologie, Ruhr-Universität Bochum
- Seit 2015 Professur für Entwicklungspsychologie, TU Dortmund
Weiterführende Informationen:
Drittmittelberatung des Referats Forschungsförderung der TU Dortmund
Förderformat MERCUR-Kooperation
Universitätsallianz Ruhr
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